art

Bei der Vorbereitung eines Seminars fiel mir gerade Daniel Spoerri’s Anekdotomania in die Hände und ich habe mich festgelesen. „Art is what makes life more interesting than art“ zitiert er den Künstler Robert Filliou (1926-87) oder in seiner eigenen Variante formuliert: „Das Leben als Kunstwerk zu gestalten scheint mir eine ganz nette Lebensbeschäftigung“

Daniel Spoerri ist einer der Grenzgänger, der immer wieder mit Realität und Fiktion spielt. Bekannt sind seine Fallenbilder, in denen zufällig gefundene Gegenstände genau dort, wo sie sich befinden, auf der Unterlage befestigt werden (z.B. Reste eines Frühstücks), und samt Unterlage von der Horizontale in die Vertikale gebracht, also an der Wand befestigt und zum Bild erklärt werden. „Handlanger des Zufalls“ nennt er sich. Bei anderen Spielen mit solchen Übergängen greift er auf die Trompe-l’oeil zurück, die Täuschung der Augen; sie war ein in vielen Epochen ein beliebtes Stilmittel, das z.B. an Gebäuden Türen, Fenster, Stuck vortäuschte. Am Eindrucksvollsten sah ich es in einer kleinen Kirche in Castello über dem Luganer See, wo der Maler Pagani Skulpturen malte, die nur bei genauem Hinsehen zweidimensional sind.


D.S. gestaltete „Détrompe-l’oeil“, Ent-Täuschungsbilder, in denen er Realität und Abbildung zusammenbringen will: an ein Bild z.B., auf dem zwei weiße Ratten Käse knabbern, werden zwei echt Rattenschwänze angeklebt. Das Wechselspiel zwischen Abbildung und realem Gegenstand sind in seinem Fokus, die Bedeutung, die Gegenständen in Bezug zu ihrer Unterlage, auf der sie sich befinden, gegeben werden. In den extremsten Varianten dieser Arbeiten werden auf die bildliche Darstellungen von Morduntersuchungen beliebige Gegenstände gelegt, die so mit dem abgebildeten Mord in Beziehung gebracht werden und denen vom Betrachter hochbrisante Bedeutungen (eines corpus delicti etc.) gegeben werden.


Das Spiel mit der Wirklichkeit zieht sich durch die Kunst wie ein roter Faden. Es ist natürlich besonders spannend in der Fotografie zu beobachten. In dem langen Streit, ob Fotografie die Wirklichkeit abbilde, enthülle, dokumentiere oder eben Wirklichkeit inszeniere, hat sich die Kunstrichtung der „inszenierten Fotografie“ eindeutig auf eine Seite geschlagen. Dies war in den 60er Jahren auch eine logische Entwicklung in Fortsetzung der Happenings und Performances. Interessant ist, dass der Diskurs „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ in der Fotografie in den 70er/ 80er Jahren intensiv geführt wurde, ohne dass dies von „unserer“ systemischen Szene aufgenommen wurde – und das, obwohl dort freundschaftliche Kontakte zu denselben Mentoren (z.B. Heinz von Foerster) gepflegt wurden. Die 4er- Beziehung zwischen Fotograf, Objekt, fotografischem Medium und Betrachter wurde intensiv reflektiert. Die Dynamik der Inszenierungen vor der Kamera, das Verständnis der Bilder als Metapher statt als Wirklichkeit (metaphorisches Sehen), die Betrachtung der künstlerischen Praxis als transformierende Tätigkeit, die durch den Prozess bedeutsam wird, die Arbeit mit der Kamera als Prozess der Erfahrung mit Bezug auf das Konzept des „kreativen Zirkels“ (Varela)..... eine Fülle von Themen, die Manfred Schmalriede z.B. für die 2. Internationalen Foto-Trienale in Esslingen 1992 („Erfundene Wirklichkeiten“) aufbereitet hat.


Mein Freund Heiko Preller (Fotografie) und ich haben die Dynamik und Fülle dieser Entwicklung in der Fotografie vor einigen Jahren bei unseren gemeinsamen Experimenten mit dem Einsatz von Fotografie in der Organisations- und Teamentwicklung und in Weiterbildungskontexten (wieder)entdeckt und haben sie in die Entwicklung der „Systemischen FotoInszenierung“ einfließen lassen. Die Erfahrungen mit dieser Methode zeigen, dass durch den Prozess der Fotografie eine hohe, auch emotionale Verdichtung der Erfahrung erreicht werden kann. Die Bedeutungen abgebildeter, inszenierter Wirklichkeiten, die Dynamik, die sie entfalten, wenn man mit ihnen spielt, die Dramaturgie (und Dramatik) des Wechsels von Perspektiven, von innen und außen usw. stimuliert das metaphorische Denken, das eine der Schlüsselfähigkeiten zur Orientierung in komplexen Situationen geworden ist.

„Die Fotografie hat uns das Nebeneinander von Nähmaschine und Regenschirm am besten vor Augen geführt, jenes zufällige Zusammentreffen, das ein großer surrealistischer Dichter als das Wesen der Schönheit gepriesen hat.“ (Susan Sontag mit Bezug auf den Compte de Lautrèamont, der die beiden sich auf dem Seziertisch begegnen ließ).


So kommen wir an das Ende dieser Kehrwoche. Gut dass nicht so arg viele über die frisch gewischten, noch feuchten Stufen gelaufen sind. Ich wusste gar nicht, dass Kehren (und Wischen) soviel Spaß macht und hinterlasse dem nächsten Kehrer oder der nächsten Kehrerin ein wenig Gerümpel, nun ja.


Ich hänge also das Schild an die nächste Tür.