Arbeiten Sie? Oder lassen Sie arbeiten?

Das Ende der Arbeitsgesellschaft naht – zumindest höre ich das immer wieder. Andererseits konnte ich im Sommer sowohl am Strand von Rio de Janeiro wie auch im Wiener Sommerbad keine halbe Stunde verbringen, ohne nicht im Kleingewerbe arbeitende Menschen zu Gesicht zu bekommen: In Rio Kokosnüsse und Süßigkeiten, in Wien Zeitungen zum Sonderpreis mit „tollem Geschenk“. Aber vielleicht zählt das, was die ihren Überlebensunterhalt verdienenden Straßenkinder dort und die ihre Studiengebühren zusammenkratzenden Studentinnen hier tun, ja nicht als Arbeit. Ist ja fast wie Urlaub – am Strand, im Bad, bei schönem Wetter draußen....


Hat man selbst keine Arbeit, so muss man sein Geld arbeiten lassen. Geld, dass man sich bis dahin hoffentlich erarbeitet oder ererbt hat. Wirklich schlecht dran sind die, die weder Arbeit noch Geld haben – für die arbeitet niemand.


Bleibt die Frage, wie man Geld zum Arbeiten bringt. Den Hinweis meiner Bank: „Lehnen Sie sich zurück und beobachten Sie, wie Ihr Kapital wächst.“ hab ich hier schon erwähnt. Der Satz geht übrigens noch weiter: „Ihr Kapital, das bei den Experten unserer Bank in guten Händen ist.“ Bilder von sorgsamen Gärtnern, die behutsam und mit viel Umsicht schwache Pflänzchen zum Blühen und Gedeihen bringen, kommen mir in den Sinn. Tja, vielleicht arbeitet Geld ja nicht wirklich, sondern muss nur sorgsam gehegt und gepflegt werden? „Das Kapital ist ein scheues Reh.“ heißt es aus berufenen Kreisen – und wer hat schon jemals ein Reh arbeiten gesehen?


„Leistung muss sich wieder lohnen“, sagt unser Finanzminister – und denkt laut darüber nach, die Schenkungs- und Erbschaftssteuer abzuschaffen, senkt die Gewinnsteuern der Unternehmen und führt die sogenannte Gruppenbesteuerung ein, die es Konzernen ermöglicht, die Gewinne und Verluste ihrer Tochtergesellschaften so lange gegenzurechnen, bis sie gar keine Steuern mehr zahlen.


Die Versicherungen boomen: Krankenzusatzversicherung, weil man ja nicht mehr weiß, welche Leistungen das öffentliche Gesundheitssystem überhaupt noch zu bringen in der Lage sein wird. Private Pensionsvorsorge, weil sowieso klar ist, dass unser öffentliches Pensionssystem kurz vor dem Kollaps steht. Und nun auch noch die Pflegeversicherungen – wer will schon alt und hilflos in ein öffentliches Pflegeheim abgeschoben werden.


Niemand fragt danach, wie Leistungen, die wir angeblich gemeinsam nicht in der Lage sind, zur Verfügung zu stellen, denn nun individuell finanzierbar sein sollen. Der Wunsch nach Unabhängigkeit von anderen, von der Politik, von Unwägbarkeiten wie Bevölkerungsentwicklung und Solidaritätsbereitschaft (Stichwort „aufgekündigter Generationenvertrag“) ist, scheint’s, so groß, dass wir nur zu gerne den immer nach oben zeigenden Kurven der Fondsmanager Glauben schenken und uns damit in eine abgesicherte Zukunft träumen.

Ein Pensionsexperte hat mal nüchtern gemeint: Wenn die Annahme stimmt, dass in einigen Jahrzehnten unser Umlage-Pensionssystem nicht mehr finanzierbar ist, weil dann das Verhältnis der erwerbstätigen Menschen zu Rentnern so ungünstig ist, dass erstere nicht mehr für die Pensionen letzterer aufkommen können –wer werden dann die Menschen sein, die den Kapitalmarkt so weit mit Geld versorgen, dass die vielen Pensionsfonds ihre Pensionen ausschütten können?


Aber vielleicht hab ich als ausgewiesene Finanzmarkt-Laiin da ja einfach irgendwas nicht verstanden. Und so bleibt es für jemand Unbedarften wie mich faszinierend, wie wir bei standortwettbewerbsbestimmten Steuersenkungen für Kapitaleinkommen, bei der großzügigen Förderung von Betriebsansiedlungen, bei der Senkung von Lohnnebenkosten, wie wir bei der Argumentation all dieser Maßnahmen die Unberechenbarkeit des „scheuen Rehs“ Kapital akzeptieren – und wie wir gleichzeitig diesem gleichen scheuen, unberechenbaren Reh die Erfüllung all unserer Sicherheitsbedürfnisse anvertrauen, als wär’s eine „sichere Bank“.