Arbeite ich gerade?

Sven Regner, der wegen der aktuellen CD von "Element of Crime" gegenwärtig öfter interviewt wird, zieht einen dicken Trennstrich "zwischen Kunst und richtiger Arbeit". Er, der Sänger und Texter, der Trompeter und Romanschriftsteller, möchte nicht, dass man seine Tätigkeiten mit Arbeit verwechselt, weil sie sind eben doch (nur?) Kunst. Angesichts der immer mal wieder hochschwappenden Frage, was man im Informationszeitalter unter Arbeit verstehen soll, ist Regners Beitrag erstaunlich konservativ (könnte glatt von der Gewerkschaft kommen).


Oder direkt aus dem ZK. Als der Dichter Joseph Brodsky zu Zwangsarbeit verurteilt wurde, da wurde ihm genau dies vorgeworfen: Er arbeite nicht und sei ein Parasit am Leib des Volkes. Brodskys entgeisterter Kommentar: "Aber ich arbeite, Genossen, ich schreibe Gedichte." Und man kann davon ausgehen, dass der Dichter wirklich entgeistert war, nämlich weil ihm an seiner Arbeit, die kein Hobby sein konnte (einfach weil ein Hobby weniger Seelengeld kostet und zugleich zu weniger Selbstverwirklichung führt), etwas lag, was die Richter nicht finden konnten.


Ich hab, beim Lesen von Regners trockenen Sätzen, einen ganzen Strauß Assoziationen bekommen. Zum Beispiel die, dass Psychotherapie auch keine richtige Arbeit ist, weil man da eben nur mit Menschen redet (anstatt sie etwa einzukleiden, ihnen Autos zu verkaufen, Organe aus dem Leib zu schneiden oder sie aus irgendwelchen Etablissements rauszuschmeißen). Das ist kein joke jetzt, sondern bloß die Erinnerung an eine Diskussion, die ich mit den Eltern meiner damaligen Freundin hatte, als ich Psychologie zu studieren begann...


Andere Assoziation: Dass Arbeit, so wie wir es landläufig zu meinen scheinen, etwas ist, was irgendwie wehtut, zumindest aber keinen Spaß macht, und dafür gibt es dann Geld. Da hängt der Entfremdungsbegriff drin wie Zigarettenrauch in den Kleidern von letzter Nacht, und es kommt mir falsch, zumindest aber auf eine traurige Weise geschmacklos vor, diese Klamotten heute nochmal anzuziehen, wenn ich mich schon letzte Nacht darin nicht wohl gefühlt habe.


Zum Dritten: Da war doch noch was mit "Im Schweiße deines Angesichts...". Regner lässt durchblicken, dass das, was er unter "richtiger Arbeit" versteht, anstrengend ist. Auf der Bühne zu stehen und Trompete zu spielen sei zwar auch anstrengend, aber eben nur körperlich. Immerhin schweißtreibend. Aber dann ist das Liebemachen auch Arbeit, oder nicht? Und das Joggen? Die Sauna am Ende, und wenn ich nur darin sitze, anstatt sie selber zu heizen?


Nummer vier: Als ich kürzlich mit meinem Sohn "Ben Hur" schaute, da konnten wir einen Blick in die Werkstatt des heiligen Joseph werfen, des Zimmermanns in Nazareth. Ein Mann trat ein und fragte Joseph, wo denn sein Sohn Jesus sei. Der könne ihm doch zur Hand gehen, die Arbeit sei hart. Joseph erklärte dem Mann, dass Jesus hinausgehen müsse, dorthin, wo die Welt Gottes, seines Vaters sei. Und der Mann wieder: "Eben, er geht der Arbeit aus dem Weg." Joseph aber, wunderbar in seiner Freundlichkeit, in seinem Vertrauen und im Wissen um die Vielfalt der Arbeit: "Er arbeitet ja..."


Vielleicht ist es an der Zeit, den Begriff "Arbeit" von allgemein verbindlichen Definitionen loszukoppeln und ihn individueller auffüllen zu lassen. Ich will, nachdem meine Woche als Tagebuch-Schreiber mit diesem Beitrag zuende geht, ein letztes Mal meinen virtuellen Kumpan bemühen, Descartes, meine Spielfigur... Ich stelle ihn mir in einer Talkshow vor, ganz wie vor einer Woche angedacht, und die Frage, die (von Elke Heidenreich vielleicht?) an ihn gerichtet wird, lautet: "René, woran arbeiten Sie gerade?"


Und dann ein langes, langes Schweigen. Eine hochgezogene Augenbraue. Ein Schluck aus dem Wasserglas und ein sinnender, dann trauriger Blick. Die Stimme, die herb klingt und mit jedem Wort aber immer froher wird: "Ich will jetzt meine Augen schließen und meine Ohren verstopfen; ich will, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, mich von allem entfernen, was trügen und meine Einbildungskraft stimulieren könnte; will insbesondere die Kameras ignorieren und dann versuchen zu werden, was ich immer schon war: Ein denkendes Ding... Ihr aber nun, liebe Leserinnen und Leser, Zuschauer und Zuschauerinnen, woran arbeitet Ihr? Bei was auch immer es sei, viel Glück..."