Amok II

Was mich bei den Diskussionen von Amokläufen in Schulen am meisten erstaunt, ist, dass über Ego-Shooter-Spiele, Waffengesetze, Schützenvereine etc. gesprochen wird, aber überhaupt nicht über Schulen. Schließlich dürfte es ja nicht vollkommen zufällig sein, dass solche Gewalttaten in Schulen stattfinden und Lehrer nur zu oft zu den Opfern gehören.


Nun sollte man nicht die Oper zu Tätern machen, aber aus systemischer Sicht ist es ja immer nützlich, die vorbeugende Frage stellen: Wenn wir wollten, dass noch Amokläufe an deutschen Schulen stattfinden, wie könnten wir das mit größtmöglicher Sicherheit schaffen?


(Für die Nicht-Systemiker: Diese Fragen stellt man nicht, um es dann so zu tun, sondern - ganz im Gegenteil - um zu verhindern, dass man es aus Versehen oder unbewußt so macht: die "positive Kraft des negativen Denkens".)


Die Demütigung von Schülern dürfte eine gute Methode darstellen (wie generell, wenn man Krieg haben will). Und auf dem Gebiet ist die Schule ja nicht schlecht.


Demütigungen gab es auch zu meiner Schulzeit zuhauf. Wahrscheinlich mehr als heute. "Runter von der Schule, rauf auf den Bau!", war eine der Lieblingsbemerkungen meines Klassen- und Lateinlehrers, mit der er vor versammelter Klasse, diejenigen, die seinen Leistungsanforderungen nicht gerecht wurden, zur Sau zu machen pflegte. Für mich war das sicher motivierend, mich - defensiv - dieser Gefahr durch hinreichende schulische Leistungen zu entziehen. Aber gelernt habe ich in der Schule ausser solchen Kränkungsvermeidungsstrategien nicht sehr viel. Zumindest weiss ich nicht mehr sehr viel von den vermittelten Inhalten, eigentlich gar nichts... Einige meiner Mitschüler, die sicher nicht blöder als ich waren, sind da auf der Strecke geblieben und gescheitert. Und auch aus denen, die es bis zum Abitur geschafft haben, sind keine Nobelpreisträger, sondern - m.E. - eher mittelmäßige und überangepasste, unkreative Kleinbürger geworden.


Das Missverständnis derjenigen, die Schule organisieren, war schon immer, es ginge um Inhalte. Es geht allein um Sozialverhalten, das wir in de Schule lernen. Alles andere ist nur Vorwand. Und in der Hinsicht sind unsere Schulen einfach eine Katastrophe. Diese Fokussierung auf die Inhalte hat zugenommen, die Kinder sollen auf Leistung getrimmt werden, und sie werden lediglich in defensiven Kränungsvermeidungsmethoden und in Wettbewerb trainiert. Die Kreativität bleibt auf der Strecke.


Ich bekenne, dass ich die Schule immer gehasst habe, obwohl sie mir Erfolgserlebnisse vermittelt hat - allerdings nur defensive Erfolgserlebnisse beim Vermeiden von Misserfolgserlebnissen. Und die Schulen meiner Kinder fand ich immer nur zum Kotzen. Ein pathologischer Apparat, in dem sie als Individuen überhaupt nicht gesehen wurden. Wer den Ablauf störte - da hatte sich im Vergleich zu meiner Schulzeit gar nichts geändert - wurde ausgegrenzt. Pädagogische Erwägungen spielten gegenüber vermeintlich "objektiven" Leistungsbewertungen keinerlei Rolle (einzelne Ausnahmen bestätigten die Regel).


Um es auf eine Formel zu bringen: Für mich war Schule sicher kein Ort, der Mordphantasien unwahrscheinlich werden ließ. Und das ließe sich sicher - um auf die Frage zurück zu kommen - ausbauen...