Amerika

In der taz von heute ist ein Gespräch mit Marcia Pally zu lesen, das ganz erhellend ist.


Neben vielen anderen Punkten weist sie auf die evangelikale Tradition der USA hin. In der amerikanischen Geschichte spielten Prediger, die durch den Wilden Westen zogen, eine mindestens so wichtige Rolle wie Cowboys (nur dass über Prediger weniger Filme gedreht wurden). Bei den Schießereien ging es öfter um Auseinandersetzungen zwischen Baptisten und Methodisten als um Grenzstreitigkeiten von Farmern.


Was als wichtigste kulturelle Tradition von den europäischen Einwanderern - in Opposition zu Europa - geschaffen worden ist und wobei diese Prediger eine wichtige Rolle spielten, war die Idee der persönlichen, ganz individuellen Beziehung zu Gott (ohne die Einbindung in die Hierarchie einer starken kirchlichen Organisation oder gar des Staates). Jeder konnte und musste seine Beziehung zu seinem Gott allein definieren, die Bibel für sich allein interpretieren, und seine eigenen Standards des sündigen Lebens festlegen. Dabei schwebte über allem die Idee der Perfektion, der Freiheit von Sünde als Ziel, das aber im Prinzip jedem offen stand.


Dieser letzte Punkt scheint mir von besonderer Bedeutung. Paul Watzlawick hat ja schon früh auf das Utopie-Syndrom verwiesen, das dazu führt, im Namen einer erstrebten, besseren - im Idealfall: perfekten - Welt alle denkbaren Grausamkeiten zu rechtfertigen.


Diese Idee der Perfektion halte ich persönlich auch für eines der größten Übel der Welt. Ein Konstrukt, das lebensfeindlich ist. Denn perfekt heißt ja, wörtlich übersetzt, nicht zufällig "fertig", "vollendet" oder so was Ähnliches. Aber das Leben geht eben meist in irgendeiner imperfekten, z.B. geschmacklich fragwürdigen, Weise (oder an welchen Wertmaßstäben man die Perfektion sonst messen mag) "irgendwie" weiter. Die Frage, ob Perfektion überhaupt mit Leben vereinbar ist, muss m.E. gestellt werden. Längerfristig nicht, wäre meine Antwort. Perfektion ist immer der Versuch, die "Landschaft" einer bestimmten "Landkarte" anzupassen.


Da gefällt mir das, was ich in Syrien (Achse des Bösen) über den Islam gehört habe, weit besser. Hier ist jeder, der irgendetwas produziert oder herstellt, jeder, der schöpferisch tätig ist, verpflichtet, irgendwelche Fehler in sein Werk einzubauen. Denn so kann er zeigen, dass er weiss, dass Perfektion allein Gott (Allah) zusteht. Alles andere wäre ein Ausdruck der Hybris.


Ich finde das sehr sympathisch (werde aber trotzdem bzw. gerade deswegen) in Zukunft darauf achten, keine muslimischen Handwerker zu engagieren...