Alte Zeiten, neue Zeiten

Es gab Zeit, das wurde vehement diskutiert, was nun eigentlich systemisch sei. Mehr oder weniger radikale Konstruktivisten in Heidelberg und anderswo machten den phänomenologisch (sprich: nach Hellinger) Ausgerichteten den ehrenvollen Beinamen "systemisch" streitig. Offenbar sind diese Zeiten auch noch nicht ganz vorbei, wie der blog-Eintrag von Holm Egidy über „Wahrheit als Erfindung eines Lügners“ zusammen mit dem Kommentar von Matthias Ochs zeigt. Aber – darauf lassen die folgenden Eintragungen und Kommentare schließen – man diskutiert offenbar innerhalb der systemischen Gemeinde zwischen „erfundener“ und „gefundener“ Wirklichkeit munter hin und her, und es scheint gar nicht mehr so wichtig zu sein festzustellen, ob man aus der „konstruktivistischen“ oder aus der „phänomenologischen Ecke“ her kommt.


Was ich da schreibe klingt so, als käme jemand wieder in eine bestimmte Gegend, in der er länger nicht war, und stellt fest, dass sich nicht viel verändert hat. - So ergeht es mir tatsächlich, da ich in den letzten zwei Jahren nur sehr eingeschränkt am Leben der „systemischen Gemeinde“ teilnehmen konnte. Eigentlich sollte ich auch nicht erstaunt sein, dass diese Diskussion noch im Gange ist, denn sie ist uralt und geht – soweit ich sehe - bis in die griechische Philosophie zurück. Es dreht sich um die Frage, ob es eine allgemein verbindliche Wahrheit überhaupt gibt und jemals geben kann. – Im therapeutischen Bereich kann man - etwas konkreter - von einer veränderbaren im Gegensatz zu einer unveränderbaren Lebenswirklichkeit sprechen, und sich fragen, in welchen Fällen das eine oder das andere im Vordergrund steht, und – gesetzt den Fall man ist TherapeutIn - sein therapeutisches Vorgehen danach ausrichten: Mutter, Vater oder bestimmte körperliche Gegebenheiten sind nicht „umkonstruierbar“, andere sehr wohl.

In dem Buch „Im Bilde sein – vom kreativen Umgang mit Aufstellungen in Einzeltherapie, Beratung, Gruppen und Selbsthilfe“ habe ich ein – eigentlich sehr nahe liegendes „Ebenenmodell“ zur Diskussion gestellt. Was da in den Kommentaren zu Holm Egidys 2 mal 2 –Betrachtung von M.M.M. Liebscht steht scheint mir in genau dieser Richtung zu gehen: das „hin und her oszillieren“ zwischen den beiden unvereinbar scheinenden Polen. Aber davon später mehr.

Heute noch etwas zu der hübschen Metapher „Kehrwoche“: Aus dem Schwäbischen kommend, in dem die „Kehrwoch“ eine große Rolle spielt, weiß ich genau, was das ist: nämlich die Woche, in der ein bestimmter Hausbewohner nicht nur vor seiner eigen Tür, sondern das ganze Treppenhaus eines Mietshauses und das „Trottoir“ vor dem Haus auch noch zu kehren hat. Hinterher muss alles richtig sauber aussehen, damit niemand was Schlechtes über dieses Haus und sein Bewohner sagen kann. Oder vielleicht auch nur, weil einfach alle Bewohner es so wollen.

Ich bewundre das Carl-Auer Team ehrlich, dass ihnen immer wieder so was Geistreiches einfällt wie zum Beispiel diese Einrichtung einer „systemischen Kehrwoche“! Aber ich frage mich plötzlich, was das nun tatsächlich heißt für die, die da „systemisch zu kehren“ aufgefordert sind, und es sicher größten Teils auch gerne tun. Bis ich eines Besseren belehrt werde beschränke ich mich darauf, im wesentlichen vor meiner eigenen Türe und auch in meiner Wohnung zu kehren; und was dabei auf die „Kutterschaufel“ gerät, das schicke ich los. – So könnte es ja gemeint sein? Denn manchmal ist da ja auch etwas Kostbares darunter, etwa ein goldener Ring, womöglich mit einem Brillianten! Allerdings kann ich mich nicht erinnern, in der letzten Zeit etwas dieser Art verloren zu haben, weil ich dergleichen gar nicht hatte. Aber was für den einen bloßer „Kutter“ kostbar ist, ist für den anderen kostbar und umgekehrt. - Und wer weiß, ob nicht schon mancher beim systemischen Kehren Überraschungen erlebt hat! Vielleicht auch nur dadurch, dass er bei Kehren im Treppenhaus etwas fand, das einem anderer verloren, oder womöglich absichtlich fallen gelassen hatte.

Mein Gott ja, man könnte das weiter ausspinnen.......

Deshalb Schluss für heute.