Als Mozart sich bei "Schnappi" wiederfand

Ein Thema, das mich immer schon interessiert hat, ist die Wertschätzung von Musik. Jeder Mensch hat Vorlieben. Gleichwohl gibt es manche Musik in der Gesellschaft, die wertvoller als andere erachtet wird. Mozart gilt als wertvoller als „Schnappi und das Krokodil“. Mozart ist ja auch der sogenannten „E“-Musik zugehörig, also der ernsten Musik, Schnappi dagegen firmiert unter dem Etikett des „U“, der Unterhaltung. Zum Glück gibt es diese beiden Klassifizierungen, die machen es leicht zu qualifizieren. Und wenn man mal den Wert nicht genau kennt und eher zum nivellierenden "EU" neigt, gibt es sogar eine Institution (die GEMA), die das "Handling" der beiden Buchstaben souverän beherrscht. Die einen komponieren also mit Ernst, die anderen machen nur Spaß, sie schreiben Songs, sie basteln. (Fühlen Sie sich also bei Mozart gut unterhalten, haben Sie Mozart nicht recht verstanden, den darf man bestenfalls reflexiv bei Durchdringung der kompositorischen Strukturen genießen, meinen selbst heute noch manche, die ihren Adorno verinnerlicht haben.)


Nun gut: Mozart ist also ernste Musik. Und er wird auch bei der GEMA danach abgerechnet, was Produzenten und Künstler sehr freut. Die GEMA ist eine Institution, die geldwerte Tantiemenströme verteilt. Für E-Musik gibt es laut Schlüssel mehr Geld, für U-Musik weniger. Schließlich ist E-Musik ja auch wertvoller. Die Welt der Musik ist also klar geordnet. Solange Schnappi trällert, tönt das U aus allen Lautsprecherboxen, Mozarts Klangwelten bedienen das E. Endlich einmal eine ordentliche Welt, bei der - um kurzfristig noch einen dritten Buchstaben und etwas Abwechslung ins Spiel zu bringen - im übertragenen Sinne ein X nicht für ein U vorgemacht wird. Dumm ist nur, dass Mozart in seiner Zeit, also als er noch lebte, eher unterhaltend wahrgenommen wurde. Haben die also ihren Mozart damals nicht recht verstanden? Da wurde während der Konzerte getobt und gejohlt, keine Kontemplation, keine reflexive Zurückgezogenheit, nichts dergleichen: Unterhaltung und Klamauk, bei dem im Übrigen Mozart zuweilen ganz gerne und dann auch recht derbe mitgemacht hat. Und: Hören Sie sich mal genau "Papageno" aus der "Zauberflöte" an. Da muss man schon viel Wohlwollen anlegen, um aus dem gestotterten „Pa“ – „Pa“ – „Papageno“-Gesang noch ein halbwegs gescheites „E“ herauszufiltern. Das klingt schon viel mehr nach Schnappi als manchem Zeitgenossen heute lieb sein mag. Solange die Musikwissenschaft und die GEMA das nicht kümmern, bleibt die Welt trotzdem noch in Ordnung: "E" ist "E", dem „Pa-, Pa-, Papageno“-Geträller zum Trotz.


Aber hoppala, diese Allianz von Wertkonservativen bröckelt. Und schuld daran sind die drei Tenöre, denn seit den „Drei Tenören“ ist nichts mehr so, wie es einmal war: die GEMA findet, dass zu Mozart & Co auch das „U“ plötzlich prima passt. Sie möchte Mozart & Co auch danach abrechnen. Ob Mozart & Co nun „e“rnst oder „u“nterhaltend daherkommt, ist dabei keine Frage der Musikstruktur, sondern eine Frage des Aufführungsortes. Es kommt nämlich ganz darauf an, wo er geboten wird. Wird Mozart vor 30000 Menschen in einer Arena geboten, ist er plötzlich U-Musik, verlieren sich dagegen nur 200 in einem kleinen schlecht besuchten Konzertsaal, bleibt ihm das "E" – die Kulturhüter werden’s danken – erhalten. Je weniger Leute zuhören können, um ernster die Musik und umso größer ist die Erwartung guter Zahlungen. (AM RANDE: Junge unbekannte, aber auch altgediente Komponisten mit "E"-Musik-Ambitionen geben so auch ganz gerne ihre konzertanten "E"-Musik-Welturaufführungen kostenfrei auch vor leeren Häusern, weil sie wissen, dass ihnen dies von der GEMA geldwert vergolten wird. Mehr noch: Daran kann man sich gelegentlich sogar dumm und dämlich verdienen.) Nun denn zurück zum Thema:


Eine interessante Entwicklung ist dies: Nicht die Musik und ihre innere Logik werden als Kriterium zur Klassifizierung der Wertschätzung herangezogen, sondern der Ort der Aufführung ist entscheidend. Verblüffend, nicht? (Das wäre etwa so, als ob Goethes Faust im Fernsehen vor Millionen dargeboten zum Unterhaltungsschund mutierte, auf der Kleinstbühne aber weiterhin für wert befunden würde. Oder: Ihr nagelneuer Mercedes vor der Haustür gälte auf der Landstraße als Spitzenprodukt, auf der Autobahn aber würde er des Gegenteils bezichtigt.) Der Grund für die Wandlung in der Musik ist aber leicht erklärt: Denn wo aufgrund des großzügig gewählten Ortes gleich 30000 mal unter dem Titel des großen E’s abgerechnet werden muss, wird es für die GEMA verdammt teuer, was allerdings die interpretierenden Künstler ziemlich freute. Das "U" kommt da schon viel günstiger, wir erinnern uns, es gibt da einen anderen Verteilungsschlüssel. Also meint die GEMA: Mozart, dargeboten in Fußballarenen, bietet dem Zuhörer einfach nur Spaß, Mozart in Konzertsälen offenbart der Kontemplation einen rechtschaffenen Ort (Wehe die Zuhörer hätten dort ihren Spaß oder sie würden nicht genau hinhören). Große Kunst lässt sich nur in kleinen Häusern feiern, andernfalls ist sie keine große Kunst. Und man möchte fast diese Logik weitertreiben und feststellen: Je kleiner das Haus, um so größer wird die Kunst. Das macht doch Sinn, oder nicht?. So verändern geldwerte Abrechnungen musikalische Wahrnehmungen.

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Logischer Umkehrschluss: Vielleicht schafft es Schnappi ja doch noch zum „E“. Ein Auftritt unter Beinaheausschluss aller Öffentlichkeit in einem Konzertsaal könnte dabei sehr hilfreich sein.