Affen-Moral

"Unsere Moralkodizes erlangen nur in der Gruppe volle Gültigkeit, ob es sich nun um eine Gruppe mit Sprache oder um eine schriftlose Population handelt, die dasselbe Stück Land bewohnt, dieselbe ethnische Identität besitzt, oder derselben Nation angehört. Für Außenstehende, die nicht Teil einer bestimmten Kultur sind, gilt offenbar ein besonderer, geringschätziger moralischer »Rabatt« - oftmals werden sie nicht einmal als richtige Menschen betrachtet." (Christopher Boehm, 2012: Moral Origins: The Evolution of Virtue, Altruism and Shame. New York, S. 135).


Das gilt schon für Affenhorden und ist emotional gesteuert. Das Problem ist, wie bei spontanen aggressiven Reaktionen, dass sie höchst funktionell sein können, wenn wir es mit Face-to-face-Interaktion zu tun haben, also in Gruppen bzw. mit mehr oder weniger überschaubaren sozialen Einheiten. Schon bei Nationen wird das problematisch. Deswegen ist es auch so gefährlich, wenn jemand, der emotional schnell reagiert, den Finger am Auslöser für Atombomben hat. Unser biologisches Erbe - unsere emotionalen Reaktionsmuster - ist für das Wandern von Gruppen in der Steppe oder das Hausen auf Bäumen im Urwald gut geeignet. Mit Hilfe dieser Muster hat die Menschheit überlebt, weil im schlimmsten Fall - wenn die emotionale Reaktion nicht zielführend war (Kampf, Flucht, Totstellreflex...) eben ein paar Exemplare dabei auf der Strecke blieben. Eine Frage der Statistik.


Das Muster wird aber dysfunktionell, wenn es in einer hochtechnisierten, durch Kommunikations- und Verkehrsmittel vernetzten Welt handlungsleitend wird. Wenn Millionen von Menschen sich gleichzeitig auf den Weg zu "uns" machen, dann funktioniert das nicht mehr mit der schlichten "Wir"-vs.-"Andere"-Unterscheidung...