REVUE Nr 13, Transformation. Feedback zu Gilgamesh und Christeene 5

REVUE, Magazine for the next society. Transformation. Nr 13. Sommer 2013


REVUE Editorial:


„… Die REVUE ist ein Resonanzraum für all diese Stimmen, in dem immer wieder die Frage nachhallt: ist eine Next Society eher als Wiedereinführung verlorener Möglichkeiten zu verstehen – und weniger als deren Ablösung? Wir wären auch auf Ihre Antworten gespannt…“


Feedback


Ich beziehe mich hier auf diese „Wiedereinführung“ – zeichne einen in REVUE gespannten Bogen nach, um diesen – ihn inhaltlich ergänzend – mit einem Plädoyer zu beschließen, und damit sich verlierende, beinahe schon verlorene Möglichkeiten in Erinnerung zu rufen.


Der skizzierte Bogen


GILGAMESH, übersetzt von William Muss Arnolt 1901.


CHRISTEENE, skype-geviewt von Ludwig Plath (*Zitate)


III. Wer oder was ist Christeene?


Nach langer eingehender Betrachtung der beeindruckend ganzseitigen A4-Fotografie in REVUE, betitelt mit „Christeene“, (und nach dem Blick auf ein Christeene you tube video namens „Tears from my Pussy“) – könnte man wähnen, Christeene wäre ein Wesen biologisch weiblichen Geschlechts, mit historisch weiblicher Geschichte, und – zeitgeistbedingt – einer unerlässlichen Körperverwirrung. Doch nein, erraten: Christeene ist ein aufstrebendes männliches Wesen, ein biologischer Mann mit zeitgeistbedingter Körper- und Rollenverwirrung in progress. Und das ganz ohne Starallüren.


Wie entsteht Christeene?


„Christeene“ gebiert sich gebärdend; „Christeene“ gebärdet sich „Christeene®“ gerierend. Es geht auch hier darum, sich - um jeden Preis - einen Namen zu machen - Liebe begehrend, Sex vorgebend - „so they wanna fuck you with their eyeballs.“ Sich der verblüfften Klientel und ihren verschlingenden Blicken darbietend, bei der Performance weiblicher Tragik-Komik mit den Mitteln queerer Komik. Das wäre eigentlich eine bekannte Travestie, beliebt bei Bräuchen wie dem Perchtenlauf. Männer spielen im Fasching gerne Divas (sic!), und das schließt natürlich alte und junge Hexen mit ein. Drag-Queen Rebecca Havemeyer® alias Paul Soileau hat den altbackenen 60er-80er Jahre Nimbus der Diva von Barry Humphries’ Dame Edna® mit der Diva Rebecca® modern ausgelotet und diese in Gestalt einer southern belle (und deren psychoanalytischer Handtasche in einer Nebenrolle), lieblich überboten.

Warum überhaupt die Vorführung, Desavouierung, ja Verleumdung weiblicher Rollen (oder was danach aussieht) durch Männer? Geht es nicht viel mehr viel tiefer? Hatte bisher leider noch nicht genug Zeit um mich tiefer einzufühlen.


Was also gibt es jetzt „gefährlich“ Neues bei der queeren Darstellung männlich-weiblicher Tragikkomik?


Wie direkt von einem Pariser Laufsteg kommend, stapft und stolpert Christeene® alias Paul Soileau, durch die Unterführungen einander überschneidender Autobahnen. Schreit ihre songs ohne Busen mit heiser kratzender Teenie-Stimme in die Welt, trägt die Haare ein wenig länger als Prinz Eisenherz, aber nicht geföhnt, sondern leicht gefilzt. Angetan ist Christeene® als boyish girlie – in selbst modellierter haute couture. Als persönliche Marke® präsentiert sie geschminkte verschmierte Lippen®, so als hätte sie gerade nebenher ein bis zwei blow jobs absolviert. Sie trägt die Oberschenkelinnenseiten mit einem Hauch von bläulich schimmernden Flecken®, so als käme sie gerade eben von heftigem Sex. Oder von einer klitzekleinen Vergewaltigung? Soll man damit spaßen?

Christeene® lässt das Kameraobjektiv nicht aus dem Auge. Ziellos drängelt ist sie in Richtung Vorwärts. Immer unterwegs, um dabei auf sinister-skurile Liebhaber von ungewissem Geschlecht, von hinterhältiger Bei-Läufigkeit und einer gewissen hygienischen Räudigkeit zu treffen. Liebenswürdig ironisch, gewährt sie den beiden nicht abgeneigten Gesellen verschämt-verspielte Einblicke®. Mit neckisch rollenden Augäpfeln® in hohlbunten Augenhöhlen®, versteht sie es mit der Aura und Anmut® eines drug-addict zu flirten, so als wäre sie mit allen Weiblichen Wassern® gewaschen. Dann aber auch vielleicht wiederum nicht.

Der Auftritt in dem selbst zugeschnittenen Trashkleidchen®, gegürtet mit einer Springschnur aus dem Sportladen, - also mit sophistication - , verwirrt. Man muss ja unmittelbar denken, eine geschlagene, geschundene weibliche Kreatur vor Augen zu haben, die unser Mitleid benötigt. Doch nein. Christeene® hüpft, ist guter Dinge und verzeiht der Welt. Sie hat - Gott sei Dank - Spaß® bei ihrer Performance. „Tears from my Pussy“ heißt der Auftritt – wo es gar keine Pussy gibt - aber hot pants® - mit geheimnisvoller Slipeinlage® -, die von ihren zwei (maliziös lächelnden) Begleitern (mit vielsagendem Blick in die Kamera) gelüftet wird. Sie lässt an einen Wundverband denken, der die ominöse weibliche Kastrationswunde bedecken soll; also eher eine Verarschung der Pussy im wahrsten Wortsinn. Und zugleich aber die drollige Mimesis der - solcherart - pompös geleugneten Abwesenheit.


„Christeene describes himself as a genderqueer "drag terrorist"“ steht in Wikipedia.


In real life hungert und schmachtet Christeene® - zu ihrer nicht unliebsam vereinnahmenden Musik laufend, stampfend, kreischend - nach Liebe. Sie gibt da und dort kleine Einblicke in ihr leicht erigiertes (männliches) Geschlecht, hilft dem ab und zu ein wenig nach, trägt es auch mal stofflich hochgebunden. Zum Schluss des einschlägigen Bühnenauftritts von „African Mayonaise“ lässt sie sich von ihren musikalischen Begleitern hochheben und - Schenkel gespreizt - in Baubo-Hocke unter frenetischen Zurufen im Kreis herumzeigen. Ja, sie hat was.

Christeene® badet auf der düster beleuchteten Bühne in den Blicken vorgestellter Abwesender, jubelnder Anwesender, auch unter sich selbst Leidender, miteinander Mitleidender, und diverser anderer Leidender, die einfach nur „Spaß“ miteinander haben wollen. Auf you tube das alles dann virtuell (qua Sex mit der Kamera), nun außerhalb jeder zeitlichen Begrenzung auf dem digitalen catwalk visualisierter Mängel. Christeene® beziehungsweise Paul Soileau begehrt implizit darauf hinzuweisen, „wie die Welt ist®“, und denkt so explizit zu bewirken, dass die Leute „aufwachen®“ mögen. Diesem Wunsch kann man sich schwer entziehen. Leider bleibt offen, in welche Richtung hin dieses Erwachen sich auswirken soll.


So lautet auch der gewählte Titel des REVUE.Interviews:


*„We just like to die for you, thats all....“


Jesus, Christeene®! Das nächste Kunst-Geschöpf, ein queer gegenderte Messias!? Ähnliches rätselt auch Ludwig Plath im REVUE-*Interview - belustigt und nicht ganz zu Unrecht. Er verzichtet auf jegliche Stellungnahme, da er, - wie wir scheint’s alle -, vermutlich für jeden trüben Spaß zu haben ist. Die queere Subversion der Geschlechter-Unterscheidung scheint geradewegs auf die Erlösung der Welt qua queer necessitiy hinzusteuern. Ende der Fortpflanzung. Das scheint auch Christeene® indirekt irgendwie zu betrauern.


Sind wir - als Kybernetes dieser Nachtmeerfahrt – nun in jeder Hinsicht bereit, das Steuer für eine Wende oder gar eine Halse einzusetzen? Das wohl schwierigste Manöver beim Segeln und der Transformation ist die Halse....Drag-Power und Queerness, Transgender und Gendertransformation versus „binäre“ Geschlechterdifferenz? Soll die herbeikonstruierte Themenvielfalt einer Minderheit als quasi ganzjährig durchgezogene Saure-Gurken-Zeit die Medien in Dauererregung versetzen und so die Gesellschaft bestimmen? Soll das schrille Geglitzer der Performance davon ablenken, dass es die konsolidierende Ordnung aushöhlt, und die mediale Aufmerksamkeit umlenkt, weg von tiefgehenden Lebensbedürfnissen und prokreativen Lebenszwecken, hin zum „Event“ mit gehobenem „Spaß“, bei dem man natürlich auf jeden Fall dabei sein will, um vor der Kamera ausgiebig Farbe zu bekennen?


*Springmesser-Drag®: Christeenies Nice-Queer-Gay-Drag-Sex-Terrorism®. (dargeboten in: Big Shot, African mayonnaise, Tears from my Pussy, uem) - brandneue Ironie qua Weiblichkeits-Persiflage, Suche nach Erfolg qua karikierter weiblicher Rollenauffassungen und deren queer-generierte Transformation in hysterische Zustände. Hysterie nun nur noch von Männern? Oder einfach nur das widersprüchliche Bild einer betont liebenswürdigen, aber wenn’s sein muss androgyn-aggressivenen „Drag-Queen“ - cool, sinister, ja „gefährlich“ – garantiert ohne mütterliche Busenimitate/implantate - Extra Ohne –und - wie von ungefähr- darauf hinweisend - auf eine Abwesenheit? Man müsste Zeit haben, um nachdenken zu können, was uns eigentlich abgeht, und warum wir es so nötig haben, dies durch exzessiven Sport, Spaß und Körperkult so notdürftig zu kaschieren?

Judith Butler, Autorin von „Das Unbehagen der Geschlechter“, hat es sich und uns mittlerweile behaglich gemacht - in der Dauer-Einrichtung der Vorhersage, Begrüßung und Affirmation der Queerness. Mit vielen männlichen Geschlechtern – ein, zwei weiblichen - und ziemlich einigen unerforschlichen „Mischformen“.


((*„Es entsteht eine entropische Gottheit.“ (Ludwig Plath))


(*“Fun for me is just slapping my shit accross your face and wakin’ you up“) Christeene® alias Paul Soileaus treuherzige Performance zielt nun – explizit - auf Leute „außerhalb“ der gay society,- sorry -, gay community. Sie begehrt mehr solchen FUN. FUN, den sich schon lange niemand so träumen ließ. So wenig wie Gilgamesh (mit dem alles begann), und sein Geliebter Enkidu sich die frecce tricolore - träumen ließen, als sie den Zedernwald ihrer Göttin niederrodeten.


O-Ton Christeene: „...And in terms of the LIVE-SHOWS…they are raw, angry, intimate and real…real as you can get. It’s new, and it burns.…CHRISTEENE is serving the new breed and brand of it. If this is what these people have become (the current state of things)...if this current state of things is what people have allowed into their living rooms and their states of mind, then this is what these people are going to fuckin get now. Eat it up and hold it in, fuckers.“


Recht hat Christeene®, - wenn man so darüber nachdenkt, was genaugenommen sie sagt.