14. Arbeit lässt sich nicht umdefinieren

(Untenstehende These ist Teil der 1:1 Abschrift der 18 Thesen des MANIFEST GEGEN ARBEIT der Gruppe krisis ()


Nach Jahrhunderten der Zurichtung kann sich der moderne Mensch ein Leben jenseits der Arbeit schlechterdings nicht mehr vorstellen. Als imperiales Prinzip beherrscht die Arbeit nicht nur die Sphäre der Ökonomie im engeren Sinne, sondern durchdringt das gesamte soziale Dasein bis in die Poren des Alltags und der privaten Existenz. Die „Freizeit“, schon dem Wortsinn nach ein Gefängnisbegriff, dient längst selber dazu, Waren „aufzuarbeiten“, um so für den nötigen Absatz zu sorgen.


Aber sogar jenseits der verinnerlichten Pflicht zum Warenkonsum als Selbstzweck legt sich der Schatten der Arbeit auch außerhalb von Büro und Fabrik auf das moderne Individuum. Sobald es sich aus dem Fernsehsessel erhebt und aktiv wird, verwandelt sich jedes Tun sofort in ein arbeitsähnliches. Der Jogger ersetzt die Stechuhr durch die Stoppuhr, im chromblanken Fitnessstudio erlebt die Tretmühle ihre postmoderne Wiedergeburt und die Urlauber schrubben in ihrem Auto Kilometer herunter, als müssten sie die Jahresleistungen eines Fernfahrers erbringen. Selbst noch das Vögeln orientiert sich an DIN-Normen der Sexualforschung und an Konkurrenzmaßstäben der Talk-Show-Prahlereien.


Erlebte König Midas es immerhin noch als Fluch, dass alles, was er berührte sich in Gold verwandelte, so ist sein moderner Leidensgenosse über dieses Stadium bereits hinaus. Der Arbeitsmensch bemerkt nicht einmal mehr, dass durch die Angleichung an das Muster der Arbeit jedes Tun seine besondere sinnliche Qualität verliert und gleichgültig wird. Im Gegenteil: nur durch diese Angleichung an die Gleichgültigkeit der Warenwelt misst er einer Tätigkeit überhaupt erst Sinn, Berechtigung und soziale Bedeutung zu. Mit einem Gefühl wie Trauer etwa kann das Arbeitssubjekt nicht viel anfangen; die Verwandlung von Trauer in „Trauerarbeit“ indes macht diesen emotionalen Fremdkörper zu einer bekannten Größe, über die man sich mit seinesgleichen austauschen kann. Selbst noch das Träumen wird so zur „Traumarbeit“, die Auseinandersetzung mit einem geliebten Menschen zur „Beziehungsarbeit“ und der Umgang mit Kindern zur „Erziehungsarbeit“ entwirklicht und vergleichgültigt. Wo immer der moderne Mensch auf der Ernsthaftigkeit seines Tuns beharren will, hat er auch schon das Wort „Arbeit“ auf den Lippen.


Der Imperialismus der Arbeit schlägt sich also im alltäglichen Sprachgebrauch nieder. Wir sind nicht nur gewohnt, das Wort „Arbeit“ inflationär zu verwenden, sondern auch zwei ganz verschiedenen Bedeutungsebenen. „Arbeit“ bezeichnet längst nicht mehr nur (wie es zutreffend wäre) die kapitalistische Tätigkeitsform in der Selbstzweck-Mühle, sondern dieser Begriff ist zum Synonym für jede zielgerichtete Anstrengung überhaupt geworden und hat damit seine Spuren verwischt.


Diese begriffliche Unschärfe bereitet den Boden für eine ebenso halbseidene wie gängige Kritik der Arbeitsgesellschaft, die genau verkehrt herum operiert, nämlich vom positiv gedeuteten Imperialismus der Arbeit aus. Der Arbeitsgesellschaft wird ausgerechnet vorgeworfen, dass sie das Leben noch nicht genug mit ihrer Tätigkeitsform beherrscht, weil sie den Begriff der Arbeit angeblich „zu eng“ fasst, nämlich „Eigenarbeit“ oder „unbezahlte Selbsthife“ (Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe usw.) daraus moralisch exkommuniziert und nur marktgängige Erwerbsarbeit als „wirkliche“ Arbeit gelten lässt. Eine Neubewertung und Erweiterung des Arbeitsbegriffs soll diese einseitige Fixierung und die damit verbundenen Hierarchisierungen beseitigen.


Es geht in diesem Denken also gar nicht um die Emanzipation von den herrschenden Zwängen, sondern lediglich um eine semantische Reparatur. Die unübersehbare Kritik der Arbeitsgesellschaft soll dadurch gelöst werden, dass das gesellschaftliche Bewusstsein bislang inferiore Tätigkeitsformen neben der kapitalistischen Produktionssphäre „wirklich“ in den Adelsstand der Arbeit erhebt. Aber die Inferiorität dieser Tätigkeiten ist eben nicht bloß das Ergebnis einer bestimmten ideologischen Betrachtungsweise, sondern gehört zur Grundstruktur des Waren produzierenden Systems und ist durch nette moralische Umdefinitionen nicht aufzuheben.


In einer Gesellschaft, die von der Warenproduktion als Selbstzweck beherrscht wird, kann als eigentlicher Reichtum nur gelten, was in monetarisierter Gestalt darstellbar ist. Der davon bestimmte Arbeitsbegriff strahlt zwar imperial auf alle anderen Sphären aus. Aber nur negativ, indem er diese als von sich abhängig kenntlich macht. Die Sphären außerhalb der Warenproduktion bleiben so notwendigerweise im Schatten der kapitalistischen Produktionssphäre, weil sie in der abstrakten betriebswirtschaftlichen Zeitsparlogik nicht aufgehen – auch und gerade dann, wenn sie lebensnotwendig sind wie der abgespaltene als „weiblich“ definierte Tätigkeitsbereich des privaten Haushalts, der persönlichen Zuwendung usw.


Ein moralisierende Erweiterung des Arbeitsbegriffs statt seiner radikalen Kritik verschleiert nicht nur den realen gesellschaftlichen Imperialismus der Waren produzierenden Ökonomie, sondern fügt sich auch bestens in die autoritären Strategien der staatlichen Krisenverwaltung ein. Die seit den 70er Jahren erhobenen Forderung, auch die „Hausarbeit“ und die Tätigkeiten im „Dritten Sektor“ als vollgültige Arbeit gesellschaftlich „anzuerkennen“, spekulierte zunächst auf finanzielle staatliche Transferleistungen. Der Krisenstaat allerdings drehte den Spieß um und mobilisiert den moralischen Impetus dieser Forderung im Sinne des berüchtigten „Subsidiaritätsprinzips“ gerade gegen ihre materiellen Hoffnungen.


Das Hohelied auf „Ehrenamt“ und „Bürgerarbeit“ handelt nicht von der Erlaubnis, in den ziemlich leeren staatlichen Finanztöpfen stochern zu dürfen, sondern wird zum Alibi für den sozialen Rückzug des Staates, für die anlaufenden Zwangsarbeitsprogramme und für den schäbigen Versuch, die Krisenlast hauptsächlich auf die Frauen abzuwälzen. Die offiziellen gesellschaftlichen Institutionen geben ihre soziale Verpflichtung preis mit dem ebenso freundlichen wie kostenlosen Appell an „uns alle“, doch gefälligst fortan mit privater Eigeninitiative eigenes wie fremdes Elend zu bekämpfen und keine materiellen Forderungen mehr zu stellen. So öffnet die als Emanzipationsprogramm missverstandene Definitions-Akrobatik am weiterhin geheiligten Arbeitsbegriff dem staatlichen Versuch Tür und Tor, die Aufhebung der Lohnarbeit als Beseitigung des Lohns unter Beibehaltung der Arbeit auf der verbrannten Erde der Marktwirtschaft zu vollziehen. Unfreiwillig wird damit bewiesen, dass soziale Emanzipation heute nicht die *Umwertung* der Arbeit, sondern nur die bewusste *Entwertung* der Arbeit zum Inhalt haben kann.