13. Die kasinokapitalistische Simulation der Arbeitsgesellschaft

(Untenstehende These ist Teil der 1:1 Abschrift der 18 Thesen des MANIFEST GEGEN ARBEIT der Gruppe krisis ()


Das herrschende gesellschaftliche Bewusstsein lügt sich systematisch über den wahren Zustand der Arbeitsgesellschaft hinweg. Die Zusammenbruchsregionen werden ideologisch exkommuniziert, die Arbeitsmarktstatistiken hemmungslos gefälscht, die Formen der Verelendung medial wegsimuliert. Simulation ist überhaupt das zentrale Merkmal des Krisenkapitalismus. Das gilt auch für die Ökonomie selbst. Wenn es zumindest in den kapitalistischen Kernländern bis jetzt so erscheint, als könnte das Kapital auch ohne Arbeit akkumulieren und die reine Form des Geldes substanzlos aus sich heraus die weitere Verwertung des Werts garantieren, so ist dieser Schein einem Simulationsprozess der Finanzmärkte geschuldet. Spiegelbildlich zur Simulation der Arbeit durch Zwangsmassnahmen der demokratischen Arbeitsverwaltung hat sich eine Simulation der Kapitalverwertung durch die spekulative Entkoppelung des Kreditsystems und der Aktienmärkte von der Realökonomie herausgebildet.


Die Vernutzung gegenwärtiger Arbeit wird ersetzt durch den Zugriff auf die Vernutzung zukünftiger Arbeit, die nie mehr stattfinden wird. Es handelt sich gewissermaßen um eine Kapitalakkumulation in einem fiktiven „Futur II.“ Das Geldkapital, das nicht mehr rentabel in die Realökonomie reinvestiert werden und daher keine Arbeit mehr ansaugen kann, muss verstärkt in die Finanzmärkte ausweichen.


Schon der fordistische Schub der Verwertung in den Zeiten des „Wirtschaftswunders“ nach dem zweiten Weltkrieg war kein vollständig selbst tragender mehr. Weit über seine Steuereinnahmen hinaus nahm der Staat in einem bis dahin ungekannten Ausmaß Kredite auf, weil die Rahmenbedingungen der Arbeitsgesellschaft anders nicht mehr finanzierbar waren. Der Staat verpfändet also seine zukünftigen reellen Einnahmen. Auf diese Weise entstand einerseits für „überschüssiges“ Geldkapital eine finanzkapitalistische Anlagemöglichkeit – es wurde dem Staat gegen Zinsen geliehen. Dieser beglich die Zinsen aus neuen Krediten und schleuste das geliehene Geld umgehend wieder in den ökonomischen Kreislauf zurück. Er finanzierte also damit andrerseits Sozialausgaben und Infrastruktur-Investitionen und schuf so eine im kapitalistischen Sinne künstliche, weil durch keinerlei produktive Arbeitsverausgabung gedeckte Nachfrage. Der fordistische Boom wurde so über seine eigentliche Reichweite hinaus verlängert, indem die Arbeitgesellschaft ihre eigene Zukunft anzapfte.


Dieser simulative Moment schon des scheinbar noch intakten Verwertungsprozesses fand seine Grenzen zusammen mit der Staatsverschuldung. Die staatlichen „Schuldenkrisen“ nicht nur in der 3. Welt, sondern auch in den Zentren ließen eine weitere Expansion auf diesem Weg nicht mehr zu. Das war die objektive Grundlage für den Siegeszug der neoliberalen Deregulierung, die laut Ideologie mit einer drastischen Senkung der Staatsquote am Sozialprodukt einhergehen sollte. In Wirklichkeit werden Deregulierung und Abbau der Staatsausgaben kompensiert durch die Kosten der Krise, und seines in Form der staatlichen Repressions- und Simulationskosten. In vielen Staaten steigt die Staatsquote auf diese Weise sogar noch an.


Aber die weitere Akkumulation des Kapitals ist durch die Staatsverschuldung nicht mehr zu simulieren. Deshalb verlagerte sich seit den 80er Jahren die zusätzliche Kreation des fiktiven Kapitals auf die Aktienmärkte. Dort geht es längst nicht mehr um die Dividende, den Gewinnanteil an der realen Produktion, sondern nur noch um den Kursgewinn, die spekulative Wertsteigerung der Eigentumstitel bis in astronomische Größenordnungen. Das Verhältnis von Realökonomie und spekulativer Finanzmarktbewegung hat sich auf den Kopf gestellt. Die spekulative Kurssteigerung nimmt nicht mehr die realökonomische Expansion vorweg, sondern umgekehrt simuliert die Hausse fiktiver Wertschöpfung eine Realakkumulation, die es schon gar nicht mehr gibt.


Der Arbeitsgötze ist klinisch tot, aber er wird künstlich bearbeitet durch die scheinbar verselbständigte Expansion der Finanzmärkte. Industrielle Unternehmen machen Gewinne, die gar nicht mehr aus der längst zum Verlustgeschäft gewordenen Produktion und dem Verkauf von realen Gütern stammen, sondern aus der Beteiligung einer „cleveren“ Finanzabteilung an der Aktien- und Devisenspekulation. Öffentliche Haushalte weisen Einnahmen aus, die gar nicht mehr durch Steuern oder Kreditaufnahme zustande kommen, sondern durch eifriges Mitgehen der Finanzverwaltung an den Zockermärkten. Und private Haushalte, deren reelle Einnahmen aus Löhnen und Gehältern dramatisch zurückgehen, leisten sich ein weiterhin hohes Konsumniveau, indem sie Aktiengewinne beleihen. Es entsteht also eine neue Form von künstlicher Nachfrage, die dann wiederum reale Produktion und reale staatliche Steuereinnahmen „ohne Boden unter den Füßen“ nach sich zieht.


Auf diese Weise wird die Weltwirtschaftskrise durch den spekulativen Prozess hinausgeschoben. Aber da die fiktive Wertsteigerung der Eigentumstitel nur die Vorwegnahme zukünftiger realer Arbeitsvernutzung (in einem entsprechend astronomischen Ausmaß) sein kann, die nie mehr kommen wird, muss der objektivierte Schwindel nach einer gewissen Inkubationszeit auffliegen. Der Zusammenbruch der „engineering markets“ in Asien, Lateinamerika und Osteuropa hat einen ersten Vorgeschmack geliefert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Finanzmärkte der kapitalistischen Zentren in den USA, der EU und Japan kollabieren.


Dieser Zusammenhang wird im arbeitsgesellschaftlichen Fetisch-Bewusstsein und gerade auch bei den herkömmlichen linken und rechten „Kapitalismuskritikern“ völlig verzerrt wahrgenommen. Fixiert auf das zur überhistorischen und positiven Existenzbedingung geadelte Phantom der Arbeit, verwechseln sie systematisch Ursache und Wirkung. Der vorübergehende Krisenaufschub durch Spekulative Expansion der Finanzmärkte erscheint dann genau umgekehrt als vermeintliche Ursache der Krise. Die „bösen Spekulanten“, so heißt es mehr oder weniger panisch, würden die ganze schöne Arbeitsgesellschaft kaputt machen, weil sie das „gute Geld“, von dem „genug da sei“, aus Jux und Tollerei verzocken, statt es brav und solide in wunderbare „Arbeitsplätze“ zu investieren, auf dass eine arbeitswahnsinnige Heloten-Menschheit weiterhin „vollbeschäftigt“ sein könne.


Es will in diese Köpfe einfach nicht hinein, dass keineswegs die Spekulation die Realinvestitionen zum Stehen gebracht hat, sondern diese schon durch die 3. Industrielle Revolution unrentabel geworden sind und das spekulative Abheben nur ein Symptom dafür sein kann. Das Geld, das da in scheinbar unerschöpflicher Menge zirkuliert, ist selbst im kapitalistischen Sinne kein „gutes“ mehr, sondern bloß noch heiße Luft, mit der die spekulative Blase aufgetrieben wurde. Jeder Versuch, diese Blase durch Projekte einer wie auch immer gearteten Besteuerung anzupieksen (Tobinsteuer usw.), um das Geldkapital wieder auf die vermeintlich „richtigen“ und realen arbeitsgesellschaftlichen Mühlen zu lenken, könnte nur mit dem umso schnelleren Platzen der Blase enden.


Statt zu begreifen, dass wir alle unaufhaltsam unrentabel werden und deshalb das Kriterium der Rentabilität selber samt seinen arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen als obsolet anzugreifen ist, dämonisiert man lieber „die Spekulanten“ – dieses billige Feindbild pflegen einhellig Rechtsradikale und Autonome, bieder Gewerkschaftsfunktionäre und keynesianische Nostalgiker, Sozialtheologen und Talkmaster, überhaupt alle Apostel der „ehrlichen Arbeit“. Die wenigsten sind sich bewusst, dass es von da bis zur Remobilisierung des antisemitischen Wahns nur noch ein kleiner Schritt ist. Das „schaffende“ nationalblütige Realkapital gegen das „raffende“ international-„Jüdische“ Geldkapital zu beschwören, droht das letzte Wort der geistig verwahrlosten Arbeitsplatz-Linken zu werden. Das letzte Wort der von Haus aus rassistischen, antisemitischen und antiamerikanischen Arbeitplatz-Rechten ist es sowieso.