3. Die neo-sozialstaatliche Apartheid

(Untenstehende These ist Teil der 1:1 Abschrift der 18 Thesen des MANIFEST GEGEN ARBEIT der Gruppe *krisis* ()


Die anit-neoliberalen Fraktionen des gesamtgesellschaftlichen Arbeitslagers mögen sich zwar mit dieser Perspektive nicht so recht anfreunden, aber gerade für sie steht unverrückbar fest, dass ein Mensch ohne Arbeit kein Mensch ist. Nostalgisch auf die Nachkriegsära fordistischer Massenarbeit fixiert, haben sie nichts anderes im Sinn, als diese verflossenen Zeiten der Arbeitsgesellschaft neu zu beleben. Der Staat soll doch noch einmal richten, wozu der Markt nicht mehr in der Lage ist. Die vermeintliche arbeitsgesellschaftliche Normalität soll durch „Beschäftigungsprogramme“, kommunale Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, Standortsubventionen, Verschuldung und andere politische Maßnahmen weitersimuliert werden. Dieser halbherzig aufgewärmte Arbeits-Etatismus hat zwar nicht den Hauch einer Chance, trotzdem bleibt er ideologischer Bezugspunkt für breite, vom Absturz bedrohte Bevölkerungsschichten. Und gerade in ihrer Hoffnungslosigkeit ist die daraus resultierende Praxis alles andere als emanzipatorisch.


Die ideologische Verwandlung der „knappen Arbeit“ ins erste Bürgerrecht schließt konsequent alle Nicht-Staatsbürger aus. Die soziale Selektionslogik wird also nicht in Frage gestellt, sondern nur anders definiert: Der individuelle Überlebenskampf soll durch ethisch-nationalistische Kriterien entschärft werden. „Inländische Tretmühlen nur für Inländer“, schreit es aus der Volksseele, die in der perversen Liebe zur Arbeit noch einmal zur Volksgemeinschaft findet. Der Rechtpopulismus macht aus dieser Schlussfolgerung keinerlei Hehl. Seine Kritik an der Konkurrenzgesellschaft läuft nur auf die ethnische Säuberung in den schrumpfenden Zonen des kapitalistischen Reichtums hinaus.


Dagegen will der gemäßigte Nationalismus sozialdemokratischer oder grüner Prägung zwar die alteingesessenen Arbeitsimmigranten als Inländer gelten lassen und bei kratzfüßigem Wohlverhalten und garantierter Harmlosigkeit sogar zu Staatsbürgern machen. Doch die verschärfte Ausgrenzung von Flüchtlingen aus Ost und Süd kann dadurch nur umso besser populistisch legitimiert und umso geräuschloser betrieben werden – natürlich stets verborgen hinter einem Wortschwall von Humanität und Zivilität. Die Menschenjagd auf „Illegale“, die sich an inländische Arbeitsplätze heranschleichen wollen, soll möglichst keine hässlichen Blut- Brandflecken auf deutschem Boden hinterlassen. Dafür gibt es den Grenzschutz, die Polizei und die Pufferländer von Schengenland, die alles ganz nach Recht und Gesetz und am besten fernab aller Fernsehkameras erledigen.


Die staatliche Arbeitssimulation ist schon von Haus aus gewalttätig und repressiv. Sie steht für den unbedingten Willen, die Herrschaft des Arbeitsgötzen auch nach seinem Tod mit allen verfügbaren Mitteln aufrecht zu erhalten. Dieser arbeitsbürokratische Fanatismus lässt die Herausgefallenen, die Arbeits- und Chancenlosen und all diejenigen, die sich aus gutem Grund der Arbeit verweigern, nicht einmal in den ohnehin schon erbärmlich engen Rest-Nischen des abgerissenen Sozialstaates zur Ruhe kommen. Sie werden von Sozialarbeitern und Arbeitsvermittlerinnen ins Licht der staatlichen Verhörlampen gezerrt und zu einem öffentlichen Kotau vor dem Thron des herrschenden Leichnams gezwungen.


Gilt vor Gericht normalerweise der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“, so hat sich hier die Beweislast umgekehrt. Wollen sie künftig nicht von Luft und christlicher Nächstenliebe leben, dann müssen die Herausgefallenen jede Schmutz- und Sklavenarbeit und jede noch so absurde „Beschäftigungsmaßnahme“ akzeptieren, um ihre bedingungslose Arbeitsbereitschaft zu demonstrieren. Ob das, was sie zu tun bekommen, auch nur im Entferntesten einen Sinn hat oder der schieren Absurdität verfällt, ist dabei vollkommen egal. Nur in permanenter Bewegung sollen sie bleiben, damit sie niemals vergessen, nach welchem Gesetz sich ihre Existenz zu vollziehen hat.


Früher haben Menschen gearbeitet, um Geld zu verdienen. Heute scheut der Staat keine Kosten, damit Hunderttausende in absonderlichen „Trainingswerkstätten“ oder „Beschäftigungsfirmen“ die verschwundene Arbeit simulieren und sich fit für reguläre „Arbeitsplätze“ machen, die sie nie erhalten werden. Immer neue und immer dümmere „Maßnahmen“ werden erfunden, nur um den Schein zu wahren, dass die leer laufende gesellschaftliche Tretmühle bis in alle Ewigkeit in Gang bleiben kann. Je sinnloser der Arbeitszwang wird, desto brutaler soll den menschen ins Hirn gehämmert werden, dass es kein Brötchen umsonst gibt.


In dieser Hinsicht erweisen sich „New Labour“ und seine Nachahmer überall in der Welt als durchaus kompatibel mit dem neoliberalen Modell der sozialen Selektion. Durch die Simulation von „Beschäftigung“ und das Vorgaukeln einer positiven Zukunft der Arbeitsgesellschaft wird die moralische Legitimation geschaffen umso härter gegen Arbeitslose und Arbeitsverweigerer vorzugehen. Gleichzeitig drücken staatlicher Arbeitszwang, Lohnsubventionen und so genannte „ehrenamtliche“ Bürgerarbeit die Arbeitskosten immer weiter nach unten. So wird der wuchernde Sektor von Billiglohn und Armutsarbeit massiv gefördert.


Die so genannte aktive Arbeitspolitik nach dem Modell von „New Labour“ verschont nicht einmal chronisch Kranke und allein erziehende Mütter mit Kleinkindern. Wer staatliche Unterstützung bekommt, wird erst dann aus dem staatlichen Würgegriff entlassen, wenn sein Namenschild am großen Zeh hängt. Der einzige Sinn dieser Zudringlichkeit besteht darin, möglichst viele Menschen davon abzuhalten, überhaupt noch irgendwelche Ansprüche an den Staat zu stellen und den Herausgefallenen derart widerliche Folterwerkzeuge zu zeigen, dass jede Elendsarbeit vergleichsweise angenehm erscheinen muss.


Offiziell schwingt der paternalistische Staat die Peitsche immer nur aus Liebe und in der Absicht, seine als „arbeitsscheu“ denunzierten Kinder im Namen ihres besseren Fortkommens streng zu erziehen. Tatsächlich haben die „pädagogischen“ Maßnahmen einzig und allein das Ziel, die Klienten aus dem Haus zu prügeln. Welchen anderen Sinn sollte es sonst machen, Arbeitslose zur Spargelernte auf die Felder zwangszuverpflichten? Dort sollten sie polnische Saisonarbeiter verdrängen, die den Hungerlohn nur deswegen akzeptieren, weil er sich durch die Wechselkursverhältnisse für sie zu Hause in ein annehmbares Entgelt verwandelt. Den Zwangsarbeitern aber wird nach dieser Maßnahme weder geholfen noch gar irgendeine „Berufsperspektive“ eröffnet. Und auch für die Spargelbauern sind die verdrossenen Akademiker und Facharbeiter, mit denen sie beglückt werden, ein einziges Ärgernis. Wenn aber nach dem Zwölfstundentag auf deutschem Mutterboden die blöde Idee. Aus Verzweiflung eine Würstchenbude aufzumachen, plötzlich in freundlicherem Licht erscheint, dann hat die „Flexibilisierungshilfe“ ihre erwünschte neubritische Wirkung gezeigt.